Das Problem bleibt G20! Repression und Gewalt sind eine Folge von politischen (Fehl-)Entscheidungen

10 Tage nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg wollen wir auch als Die Linke.SDS Bilanz ziehen. Mit knapp 80 Genoss*innen waren wir an verschiedenen Aktionen beteiligt.

Vereinzelt bei der Nachttanzdemo, „Welcome to hell“ am Donnerstag und „Jugend gegen G20“ am Freitag, sowie als Verband bei den Aktionen zivilen Ungehorsams namens „Colour the red zone“, und natürlich bei der internationalen Großdemonstration am Samstag. Viele von uns waren auf dem Camp im Volkspark Altona untergekommen.

Wir lassen uns nicht spalten und kleinreden!

Zunächst wollen wir unsere Solidarität mit allen Aktivist*innen ausdrücken, die während der Tage des Protests von Repression betroffen oder gar psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt waren. Auch wenn wir sicherlich unterschiedliche Einschätzung zu mancher Aktion haben: Wir lassen uns nicht spalten in „gute“ und „schlechte“ Demonstrierende!

Wichtig ist für uns herauszustellen: Der Protest war ein Erfolg! Knapp 100.000 Menschen beteiligten sich von Mittwoch bis Sonntag an unterschiedlichsten Protest- und Widerstandsformen, in der allergrößten Mehrheit entschlossen und friedlich. Anfahrtswege der Mächtigen konnten blockiert werden, kleine, kreative Protestformen hatten ebenso ihren Platz wie die internationale Großdemonstration am Samstag mit über 80.000 Teilnehmer*innen.
Repression wohin man schaut – schon im Vorfeld

Das ist keine Selbstverständlichkeit, vor allem angesichts der Repression, die den Teilnehmer*innen von Anfang an entgegenschlug. Die erste, offensichtlich idiotische Maßnahme war, ist und bleibt das Durchdrücken von Hamburg als Gipfelort, gegen den großen Widerstand der Bevölkerung, die sich bereits erfolgreich gegen das Großevent Olympia zur Wehr gesetzt hatte. Der SPD-Oberbürgermeister Olaf Scholz und Kanzlerin Angela Merkel wollten mit dieser Entscheidung den Führungsanspruch Deutschlands innerhalb der G20 organisatorisch demonstrieren und nahmen billigend das faktische Lahmlegens des Stadtlebens und enorme Einschränkungen für die lokale Bevölkerung in Kauf.

Die Trumps, Putins, Erdogans und Macrons dieser Welt wurden für zwei Tage mit bis zu 130 Millionen Euro Gipfelkosten hofiert, während die Bewohner*innen Hamburgs mit wochenlangen Einschränkungen des alltäglichen Lebens zu kämpfen hatten. Um dennoch die Sicherheit der Gipfelteilnehmer*innen gewährleisten zu können, wurden zahlreiche Angriffe auf Versammlungs- und Pressefreiheit gefahren, bei denen man inzwischen kaum noch weiß wo man anfangen bzw. aufhören soll. Wir versuchen uns dennoch nochmal an einer kurzen Dokumentation:

  • Das „Festival der Demokratie“ (Andy Grote, Innensenator) wurde ermöglicht durch eine 38 km2 große Sicherheitszone, in der Versammlungen de facto verboten waren.
  • Schon im Vorfeld, als die Demo „Welcome to Hell“ keinerlei Auflagen zu ihrer Route erhielt, war klar, dass die sog. „Hamburger Linie“ der Polizei zum Tragen kommen würde: Eskalieren lassen und draufhauen. Härte zeigen. Im Vorfeld brüstete sich Einsatzleiter Hartmut Dudde damit, man würde alles Polizeigerät, was es zur Zeit gebe, sehen können. Manisch wiederholt Wolfgang Bosbach bei Maischberger, man müsse Stärke zeigen, sonst wäre es eine Kapitulation gewesen. Im Nachhinein soll also durch diese perfide Ideologie der Stärke und Gnadenlosigkeit der Bau der Gefangenensammelstelle (Gesa) für 4 Millionen Euro gerechtfertigt werden.
  • 32 Journalist*innen wurde die Akkreditierung zum Gipfel entzogen, einige stehen möglicherweise wegen kritischer Berichterstattung seit vielen Jahren unter Beobachtung durch den Staatsschutz. Nicht nur durch diesen Entzug war die Pressearbeit vor Ort erschwert, andere Journalist*innen berichten von verbalen und tätlichen Übergriffen.
  • Am laufenden Band wurden Fälle von Polizeigewalt bekannt, in einem solchen Maße, dass selbst bürgerliche Medien wie NDR und BILD den Einsatz kritisierten. Während über 500 verletzte Polizist*innen gemeldet werden (darunter unter anderem 130 hessische Beamte, die sich durch Eigenbeschuss mit Tränengas verletzten), gibt es über Verletzte auf Seiten der Protestierenden keinerlei Angaben, wir gehen von einer hohen dreistelligen Anzahl aus. (Das Portal G20 DOKU sammelt gegenwärtig Video- und Bildzeugnisse von Polizeigewalt während des Gipfels.)
  • Angemeldete Protestcamps wurden im Vorfeld behindert, verhindert oder gar geräumt, während dann letztlich das Camp im Volkspark Altona weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Es handelte sich dabei nicht nur um eine extrem durchschaubare Abschreckungsstrategie der Hamburger Polizei, sondern um eine sehr fragwürdige Praxis im Hinblick auf die faktische Legalisierung der Camps durch Bundesverfassungsgericht, sowie des Hamburger Verwaltungsgericht. Die Polizei hat sich im Grunde über richterliche Beschlüsse putschend hinweggesetzt.

Soweit zu den Rahmenbedingungen, die das Grundrecht auf politischen Protest bereits über die Maße einschränkten, was viele Menschen wütend zurückließ. Die Ausschreitungen waren damit zu erwarten und vorprogrammiert.

Worüber die Zeitungen hätten berichten können: Neokolonialismus auf dem G20-Gipfel

Dass ein Großteil der bürgerlichen Medienöffentlichkeit nun mehr Interesse an Ausschreitungen zeigt, als an politischen Protestformen und dem politischen Hintergrund, d.h. der Politik der G20-Staaten, die die Ausbeutung in der Welt verwalten, ist enttäuschend und klar als ein Versagen der Medien zu benennen. Wir verurteilen folglich die Berichterstattung vieler Presseorgane; trotz der Repression, die einzelne Reporter*innen erfahren haben, denen natürlich unsere volle Solidarität gilt. Der Fokus auf ein paar organisierten Barrikadenbauern und einer besoffenen Meute, die sich aus Lust an Randale anschloss, lenkt vom eigentlichen Gipfel ab und verteufelt das Recht auf Widerstand im Angesicht eines inhumanen Systems des ausbeuterischen Kapitalismus.

Die bürgerliche Presse hätte darüber berichten können, wogegen sich der berechtigte Protest der Gipfelgegner*innen richtet: Es stand zum Beispiel bei G20 „Afrika“ breit auf dem Themenplan, aber nur ein einziges (!) afrikanisches Land saß mit am Tisch! Beschlossen wurde der Skandal, dass private Investoren in Afrika Zugang zu Land und Produktion erhalten sollen – um Wirtschaftshilfe zu leisten. Aber wann hatten private Investoren schon einmal Interesse an den Arbeiter*innen und dem Wohlstand dieser? Afrika wird ausverkauft, zum wiederholten Mal in der Geschichte. Wir scheuen uns nicht, diesen Vorgang als das zu benennen, was er ist: Neokolonialismus.
Versuch einer Deutung der Krawalle in der Schanze

Das Plündern eines Supermarktes ist nicht unsere vorrangige Aktionsform. Dennoch hat auch dies einen Symbolcharakter: Die Herrschenden hören dekadent ein Konzert in der Elbphilharmonie und verfügen über die Güter der Welt, die allen gehören und von allen verwaltet werden sollen. Draußen darf sich jeden Tag und global die Mehrheit der Menschen um die Krümel streiten. Manche der Plünderer haben sich schlichtweg genommen, was ihnen normalerweise in der Klassengesellschaft verwehrt bleibt. Es ist ein bezeichnender Ausdruck von Wut und Ohnmacht gegenüber der herrschenden Gesellschaftsform, wenn Menschen nichts Besseres einfällt, als Kleinwagen anzuzünden.

Stimmungsmache gegen Links. Flora bleibt!

Die Bilder von brennenden Barrikaden und von zerstörten Autos eignen sich besonders gut für Stimmungsmache gegen Links, für Pauschalisierung und zur Untermauerung von Forderungen, wie z.B. die Rote Flora zu schließen. Wir weisen diese Schwarz-Weiß-Malerei entschieden zurück; die Flora bleibt! Linke Freiräume werden es in Zukunft sehr schwer haben. Sie brauchen unser aller Solidarität und praktischen Beistand.
Ausschreitungen sind, wie schon im Vorfeld von vielfacher Stelle angesprochen, bei solch einem Gipfel zu erwarten. Wenn sich dann die Berichterstattung nur noch darum dreht, sich die BILD zur Justiz aufschwingt und „Straftäter“ sucht, dann ist das mediales Anbiedern an die rechtslastige Meinungshegemonie, Stimmungsmache und eine geheuchelte „Neutralität“.

Den Politiker*innen, die sich gerade mit „Rock gegen Links“ oder der Forderung, alle linken Räume zu schließen, an Absurditäten und Hetze überbieten, kann eine Strategie bescheinigt werden, die versucht, von ihrem eigenen Versagen und ihren Straftaten abzulenken. Herr De Maizière, Sie haben tausende Tote auf dem Mittelmeer mit zu verantworten! Herr Maas, wenn Sie Linksradikale wie Rechtsextreme verfolgen wollen – dann haben wir ja nochmal Glück gehabt. Denn Rechtsterror wird ja aktiv vom Verfassungsschutz unterstützt und finanziert!

Was ist der Schanze passierte, ist weder Bürgerkrieg, IS- noch rechtsextremer Terror

Wir weisen die Gleichmacherei entschieden zurück, IS-Terror, Rechtsterror und links motivierte Randale seien dasselbe. Wir sehen einen Unterschied zwischen der Landnahme, den Vergewaltigungen und Hinrichtungen des IS oder des Anzündens von Geflüchtetenheimen und der NSU-Morde auf der einen Seite und brennenden Barrikaden im Schanzenviertel auf der anderen Seite.

Die, die diese Dinge als ein und dasselbe ansehen, sind entweder intellektuell nicht zurechnungsfähig oder wollen eine Kriminalisierung der gesamten linken Szene vorantreiben.

Da wir Linke traditionell Herrschaft, Autokratie, Ungleichheit und die Verletzung von Grundrechten anprangern, sind wir den herrschenden Klassen, zu denen die lauten Trompeter der Kriminalisierung gehören, ein Dorn im Auge. Drängen sie uns und unser Handeln in die Verfassungswidrigkeit, erleichtert ihnen das die bereits in Gang gesetzten Praxen der Zensur und Repression. Sie können sich ungehindert auf dem Sitz ihrer Macht ausruhen. Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die sie verschulden und mitverschulden, bleiben unangetastet.

Von wem die Gewalt wirklich ausgeht

Wer über die Gewalt, die Plünderungen und die Sachbeschädigung auf der Schanze reden möchte, der darf über die Politik der G20 nicht schweigen. Die Gewalt geht aus von einem Donald Trump, der mit seiner menschenfeindlichen Agenda rassistische Ressentiments und Gewalt gegen Muslime, Schwarze und Frauen legitimiert und vorantreibt. Die Gewalt geht aus von einem Recep Tayyip Erdoğan, der einen vernichtenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerungsgruppe führt und für die Europäische Union Geflüchtete abfängt. Die Gewalt geht aus von Emmanuel Macron, der in autoritärer Manier und mithilfe der Ausrufung des Ausnahmezustands extremen Sozialabbau in Frankreich vorantreibt. Die Gewalt geht von Angela Merkel aus, die mit ihrem Austeritätsprogramm Südeuropa in die Armut getrieben hat und Deutschland daran verdienen lässt. Die Gewalt geht von allen G20-Staaten aus, die sich anmaßen über das Schicksal eines ganzen Kontinents wie Afrika zu entscheiden, während genau eine afrikanische Nation am Verhandlungstisch sitzt. Die Gewalt geht von allen G20-Staaten aus, die sich auf wachsweiche Verpflichtungen zum Klimaschutz herablassen, während die Welt unter Dürren und immer häufigeren Extremwetterphasen leidet. In der Zeit, in welcher die Staatschefs in Hamburg diniert haben, verhungern hunderte Menschen in einer Welt, die genug ernähren könnte.

Der Widerstand geht weiter

Wir appellieren an alle, die sich der Unterdrückung und Ausbeutung ausgesetzt sehen, zur Reflexion ihrer Situation. Wir dürfen unseren Zorn nicht gegen die richten, die sich im Zweifel mit uns solidarisieren. Unsere Sympathie darf nicht dem Kapitalismus gelten, der uns ausbeutet und diese monströsen Polizeiapparate, den Sicherheitsfetisch und die Autokraten hervorbringt. All die repressiven Umstände, unter denen unsere Demos stattfinden mussten, markieren eine weitere Stufe einer kapitalistischen Ordnung, die sich in ihrer brüchigen Legitimität nur mit immer noch autoritäreren Maßnahmen sichern kann.
Die eigentlichen Krawallmacher, Chaoten und Straftäter saßen in den Messehallen, gut abgeschirmt durch ihre prügelnden Söldner. Das skandalisieren wir und daran muss sich die öffentliche Empörung entzünden. Für uns und viele tausende Menschen in Hamburg und anderswo war und ist daher vollkommen klar: Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir werden weiter Widerstand leisten gegen Krieg, Rassismus und Sozialabbau. In der Uni, in der Gewerkschaft, im Betrieb, in politischen Zusammenschlüssen oder Parteien und auf der Straße!
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Hier wird Polizeigewalt dokumentiert: https://g20-doku.org/

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